Mittwoch, 9. September 2015

Bericht vom Seminar 2015: Dienstag, 28. Juli 2015, am Vormittag

Am Morgen spülen wir unsere Müdigkeit bei einem kurzen Besuch am Strand mit dem Meerwasser fort. Am Vorabend hatte uns Yael durch Tel Aviv geführt, wir waren bei den vielen Bauhaus-Gebäuden gewesen, beim Staatstheater, beim Rathaus, bevor wir erschöpft ins Hotel zurückgekehrt waren. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit verschiedenen Leckereien starten wir also in den heutigen Seminartag.

Die Referentin Anat war bereits vor zwei Jahren beim Seminar in Berlin dabei. An diesem Morgen macht sie die deutsch-israelischen Beziehungen zum Thema und zeigt eindrücklich, wie wichtig Deutschland besonders in den ersten Jahren für den neuen Staat Israel war. Nach dem Unabhängigkeitskrieg 1947/48 und der Staatsgründung gab es in Israel eine kaum vorstellbare Masseneinwanderung, die das junge Land vor große Herausforderungen stellte. Auch deshalb wurden schon früh Verhandlungen mit Deutschland über Wiedergutmachungsleistungen angestrebt, Überlegungen dazu hatte es bereits während des Zweiten Weltkriegs in der Jewish Agency for Palestine gegeben. Mit der Gründung der Bundesrepublik, der Währungsreform, der Einführung der sozialen Marktwirtschaft und dem Marschallplan, der in Westdeutschland einen Wirtschaftsaufschwung ermöglichte, waren die Bedingungen für Wiedergutmachungen gelegt. 1952 unterzeichnet der westdeutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und der israelische Außenminister Mosche Scharett das Luxemburger Abkommen, mit dem sich die Bundesrepublik zu Zahlungen für einen Zeitraum von zwölf Jahren verpflichtete. Dieses Abkommen war allerdings auf beiden Seiten sehr umstritten. Im Bundestag konnte Konrad Adenauer nur durch die Stimmen der SPD eine Mehrheit für das Abkommen erreichen. In der Knesset gab es kontroverse, emotionale Auseinandersetzung, auch in der israelischen Öffentlichkeit wurde Ministerpräsident Ben Gurion kritisiert. Die wirtschaftlichen Hilfen für Israel, die aus Zahlung und aus westdeutschen Waren und später auch Waffen bestanden, waren für den Aufbau des jüdischen Staats von fundamentaler Bedeutung. Diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel wurden offiziell allerdings erst in den 1960er Jahren aufgenommen. Heute ist Deutschland neben den USA ein wichtiger politischer Verbündeter von Israel. In der Diskussion im Seminar wird deutlich, dass die israelischen Seminarteilnehmer_innen ein sehr positives Bild von Deutschland haben und besonders unsere Kanzlerin Angela Merkel schätzen, was ich sehr interessant finde.



Auch die nächste Referentin Sharon war vor zwei Jahren mit in Berlin, wo ihre Eltern gelebt hatten, bevor sie in den 1930er Jahren in die USA emigrierten. Sie stellt uns im Seminar ein Projekt vor, dass sie mit israelischen und deutschen Studierenden durchgeführt hat, die nach einer inhaltlichen Auseinandersetzung Briefe an Holocaust-Überlebende in der eigenen Familie bzw. an die eigenen Großeltern schrieben und ihre Gefühle dabei reflektierten. Die Auszüge aus den Briefen, die Sharon vorstellte, zeigten nicht nur die Emotionalität, sondern auch Zuversicht für die Zukunft nach der Auseinandersetzung. Vor dem Mittagessen stellte Ida, die in einem Kibbuz im Norden von Israel lebt und als Lehrerin arbeitet, Beispiele aus ihrem Unterricht vor, mit denen sie das kritische Denken bei den ihren Schüler_innen fördert vor. 

Ilke Glockentöger

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