Am Morgen spülen wir unsere Müdigkeit bei einem kurzen
Besuch am Strand mit dem Meerwasser fort. Am Vorabend hatte uns Yael durch Tel
Aviv geführt, wir waren bei den vielen Bauhaus-Gebäuden gewesen, beim
Staatstheater, beim Rathaus, bevor wir erschöpft ins Hotel zurückgekehrt waren.
Nach einem ausgiebigen Frühstück mit verschiedenen Leckereien starten wir also
in den heutigen Seminartag.
Die Referentin Anat war bereits vor zwei Jahren beim Seminar
in Berlin dabei. An diesem Morgen macht sie die deutsch-israelischen
Beziehungen zum Thema und zeigt eindrücklich, wie wichtig Deutschland besonders
in den ersten Jahren für den neuen Staat Israel war. Nach dem Unabhängigkeitskrieg
1947/48 und der Staatsgründung gab es in Israel eine kaum vorstellbare
Masseneinwanderung, die das junge Land vor große Herausforderungen stellte. Auch
deshalb wurden schon früh Verhandlungen mit Deutschland über
Wiedergutmachungsleistungen angestrebt, Überlegungen dazu hatte es bereits
während des Zweiten Weltkriegs in der Jewish Agency for Palestine gegeben. Mit
der Gründung der Bundesrepublik, der Währungsreform, der Einführung der
sozialen Marktwirtschaft und dem Marschallplan, der in Westdeutschland einen
Wirtschaftsaufschwung ermöglichte, waren die Bedingungen für Wiedergutmachungen
gelegt. 1952 unterzeichnet der westdeutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer und
der israelische Außenminister Mosche Scharett das Luxemburger Abkommen, mit dem
sich die Bundesrepublik zu Zahlungen für einen Zeitraum von zwölf Jahren verpflichtete.
Dieses Abkommen war allerdings auf beiden Seiten sehr umstritten. Im Bundestag
konnte Konrad Adenauer nur durch die Stimmen der SPD eine Mehrheit für das
Abkommen erreichen. In der Knesset gab es kontroverse, emotionale
Auseinandersetzung, auch in der israelischen Öffentlichkeit wurde
Ministerpräsident Ben Gurion kritisiert. Die wirtschaftlichen Hilfen für Israel,
die aus Zahlung und aus westdeutschen Waren und später auch Waffen bestanden,
waren für den Aufbau des jüdischen Staats von fundamentaler Bedeutung. Diplomatische
Beziehungen zwischen Deutschland und Israel wurden offiziell allerdings erst in
den 1960er Jahren aufgenommen. Heute ist Deutschland neben den USA ein
wichtiger politischer Verbündeter von Israel. In der Diskussion im Seminar wird
deutlich, dass die israelischen Seminarteilnehmer_innen ein sehr positives Bild
von Deutschland haben und besonders unsere Kanzlerin Angela Merkel schätzen,
was ich sehr interessant finde.
Auch die nächste Referentin Sharon war vor zwei Jahren mit
in Berlin, wo ihre Eltern gelebt hatten, bevor sie in den 1930er Jahren in die
USA emigrierten. Sie stellt uns im Seminar ein Projekt vor, dass sie mit
israelischen und deutschen Studierenden durchgeführt hat, die nach einer inhaltlichen
Auseinandersetzung Briefe an Holocaust-Überlebende in der eigenen Familie bzw.
an die eigenen Großeltern schrieben und ihre Gefühle dabei reflektierten. Die
Auszüge aus den Briefen, die Sharon vorstellte, zeigten nicht nur die
Emotionalität, sondern auch Zuversicht für die Zukunft nach der Auseinandersetzung.
Vor dem Mittagessen stellte Ida, die in einem Kibbuz im Norden von Israel lebt
und als Lehrerin arbeitet, Beispiele aus ihrem Unterricht vor, mit denen sie
das kritische Denken bei den ihren Schüler_innen fördert vor.
Ilke Glockentöger
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