2011 - Geschichten aus Israel: Das 25. Deutsch-Israelische Begegnungsseminar in Jerusalem

Seit mehr als vier Jahrzehnten führen die GEW und ihre israelische Partnergewerkschaft Histadrut-Hamorim im Zweijahresrythmus gemeinsame Seminare durch. Im Oktober 2011 war wieder einmal die Histadrut-Hamorim Gastgeberin dieses Austausches. Zwei Wochen lang besuchten elf GEW-Mitglieder zunächst Orte in Israel, nahmen dann an den gemeinsamen Seminartagen teil und waren vor ihrer Abreise noch in Ostjerusalem und der Westbank.
Israel kannte ich nur aus Büchern, aus Zeitungen und dem Fernseher. Immer wieder ist mir das Heilige Land in meinem Geschichts- und Religionsstudium und später als Unterrichtsthema begegnet. Neben der Faszination für dieses vielfältige Land am Mittelmeer gab es bei mir auch Unverständnis. Aus der Ferne warf ich oft einen ungeduldigen Blick auf die Konflikte im Nahen Osten. Am Schreibtisch und im Fernsehsessel in Deutschland erscheint vieles einfach. Nach zwei, sehr intensiven Wochen in Israel verstehe ich, dass wenig einfach ist – und dieses Land viele Geschichten in sich trägt. Für einen kleinen Einblick in die zahlreichen Geschichten, die uns auf unserer Reise begegneten, möchte ich von unserer Kollegin Nurit, dem Benediktinermönch Olivier, dem Seminarteilnehmer Haled und Peter aus Ramallah erzählen.
Nurit
„Ja, so sah auch das Haus von meinen Großeltern aus“, bestätigt Nurit. Die pensionierte Lehrerin und langjährige Teilnehmerin des Austauschs zwischen Histadrut-Hamorim und GEW steht im hinteren Teil des Jeckes Museum, wo wir auf der Rundfahrt einen Zwischenstopp machen und uns über die Geschichte des deutschsprachigen Judentums in Israel informieren. Auf wenigen Quadratmetern ist hier die typische Behausung von Menschen im Kibbuz, die schon vor der Staatsgründung Israels existierten, nachgebaut worden: Zwei einfache Schlafpritschen, die auch als Sitzmöglichkeit dienen, ein kleiner Tisch, eine Kommode in der Ecke. Nurit berichtet von ihren Kindheitserinnerungen. Ihre Ferien hat sie oft bei den Großeltern verbracht, die mit ihr Deutsch sprachen und also zu der Gruppe der Jeckes gehörten. Wie viele andere deutschsprachige Juden und Jüdinnen, die einen großen Einfluss auf die israelische Gesellschaft hatten, waren die Eheleute in den 1930er Jahren aus Mitteleuropa geflüchtet. Sie hatten ihre Heimat im Vorharz, wo sie ein Kaufhaus besaßen und zum wohlhabenden Bürgertum gehörten, gegen ein sehr einfaches, bescheidenes Landleben eingetauscht. Einmal hat die kleine Nurit ihre Oma gefragt, ob sie denn nicht beklage, ihre Besitztümer verloren und das bürgerliche Leben aufgegeben zu haben. Nein war die Antwort. „Oma und Opa waren immer dankbar und froh, dass sie rechtzeitig aus Deutschland fliehen konnte“, erzählt Nurit. „Wohlstand ist wertlos, wenn man nicht frei und anerkannt leben kann. In Israel hatten meine Großeltern einen Ort, an den sie gehörten.“
Olivier
Auf der Rasenfläche vor der Kirche wird gerade ein muslimisches Brautpaar fotografiert. Nurit hat uns am Ende unserer Rundreise in das kleine Dorf Abu Gosch gebracht, wo wir im Vorgarten des Benediktinerklosters auf Olivier warten. „Entschuldigung, ich musste die Hochzeitsgesellschaft, die hier aus dem Dorf kurz zu Gast war, noch verabschieden.“ begrüßt uns schließlich der Benediktinermönch, der vor vielen Jahren aus Frankreich in diesen kleinen Ort in der Nähe von Jerusalem gekommen ist. Im Kloster sind erstmal alle Menschen – egal ob und welcher Religion sie angehören. Olivier kritisiert, dass in den Medien meistens ein sehr problematisches und negatives Bild von Israel vermittelt wird, obwohl es in diesem Land auch andere Geschichten gibt. Vor einiger Zeit habe ihn ein befreundeter Polizist aus dem Dorf gebeten, mit ihm im Duett bei der Verabschiedung eines Vorgesetzten vorzusingen. Mit Blaulicht wurde Olivier zu der Veranstaltung, an der hunderte Menschen teilnehmen, eskortiert und sang mit seinem Freund zusammen für den angehenden Pensionär. „Der Mann hatte Tränen in den Augen, als er sich bei uns bedankte.“ berichtet der gebürtige Franzose. „Ein jüdischer Polizist und ein christlicher Mönch aus einem muslimischen Dorf singen zusammen. Das ist ein Teil des alltäglichen Friedens, den es auch in diesem Land gibt.“ Am Ende unseres Besuchs stimmt Olivier in der Kirche noch einen gregorianischen Gesang an, dessen Töne wir mit uns in die abendliche Dunkelheit tragen. Am Himmel funkelt gerade das Feuerwerk der muslimischen Hochzeitsfeier, das von dem Glück des Brautpaares an diesem Tag erzählt.
Haled
Als Haled während unserer Seminartage mit seinem Referat an die Reihe kommt, haben wir schon viele interessante Vorträge gehört und diskutiert - über jüdisches Leben in Nürnberg, die Dilemmata der Judenräte, Philosophie nach der Shoa, Antisemitismus in Schulbüchern und die Einstellungen von angehenden Lehrkräften in Israel und Deutschland. Besonders bewegend war der Bericht von Hedva, die mit der Darstellung der Kinder-Transporte einen Teil ihrer Familiengeschichte präsentierte. Auch Sharon hatte bei der Darstellung einzelner Biographien die Geschichte ihres Vaters vorgestellt. Bevor wir weitere Referate über multikulturelle Begegnungen im Klassenraum, das Judentum in Griechenland, Stolpersteine in Deutschland, eine deutsch-palästinensische Schule und gewerkschaftliche Bildungsarbeit hören, spricht der Schulleiter Haled nun also über die Führungsschicht der arabischen Israelis. Ein Viertel der Bevölkerung in Israel ist nicht jüdisch, neben wenigen Christen und Christinnen leben hier auch viele Menschen mit muslimischen Glauben und haben einen israelischen Pass. Jedoch unterscheiden sich diese arabischen Israelis sowohl bezüglich der konfessionellen Orientierung als auch der Integration und Einstellung zu dem Staat, in dem sie leben. „Eine nachhaltige Integration ist auch bei der Arbeit an meiner Schule eine wichtige Zielsetzung“ berichtet der arabisch-israelische Haled, der als Sonderpädagoge ausgebildet wurde. Von sei-nem Anliegen hatten wir uns schon in der vorhergehenden Woche bei unserer Rundreise überzeugen können. Wir waren von ihm in den kleinen Ort Dir el Asad im Norden Israels eingeladen worden, wo unter anderem einige Schülerinnen und Schüler eine kleine Aufführung mit Tanz und Musik einstudiert hatten. Sie erzählten auf der Bühne die Geschichte der Friedensprinzessin, die zur Erde kommt und fortan für das friedliches Zusammenleben aller Menschen sorgt.
Peter
Das letzte, offizielle Treffen in unserem Reiseprogramm haben wir am Samstagmorgen mit Peter Schäfer. Ein Teil unserer Gruppe ist bereits auf dem Rückweg nach Deutschland, als wir den Vertreter der Rosa-Luxemburg-Stiftung kennen lernen und uns über seine Arbeit vor Ort informieren. Peter lebt seit über einem Jahrzehnt in der wichtigsten Stadt der palästinensischen Autonomiegebiete, spricht fließend arabisch und hat vor seiner Beschäftigung bei der Stiftung als Journalist gearbeitet. „Es gibt einfach keinen Masterplan für die Entwicklung von Palästina.“ konstatiert er. Wenigstens scheint das Ausland auch ohne Masterplan kaum eine Gelegenheit auszulassen, das schlechte Gewissen gegenüber den Palästinenserinnen und Palästinensern mit Geld zu beruhigen. Allein in Ramallah gibt es etwa 3000 Organisationen und Initiativen zur Unterstützung des Aufbaus des Landes, wie Peter schätzt. Tausende Menschen aus dem Ausland leben hier, bringen ihre Expertise ein – und sorgen mit ihrer Anwesenheit auch für höhere Mietpreise. Die Entfaltung einer palästinensischen Zivilgesellschaft wird durch die internationalen Interventionen teilweise behindert, auch wenn viele einzelne Projekte natürlich sehr lobenswert sind. Wir hatten am Vortag eine Mädchenschule besucht, in der ein Konfliktschlichtungsprogramm implementiert worden war, das von einer deutschen Inititive in Zusammenarbeit mit der palästinensischen Lehrergewerkschaft GUPT gefördert wird. Auch wenn die israelische Besatzung das größte Problem bei der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung der Region bleibt – eine andere Geschichte kann von den Strukturen innerhalb Palästinas erzählt werden.
Israel ist ein Land mit vielen Geschichten. Alle Geschichten haben ihre Berechtigung und wollen erzählt werden. Der Besuch in Israel hat uns und den Menschen, denen wir begegnet sind, weitere Geschichten erzählt. Dass die Geschichte der Kooperation zwischen GEW und Histadrut Hamorin weiter gehen wird, ist eine gute Perspektive.
Ilke Glockentöger

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